Female Leadership – Mehr als nur Stereotype?

Sind Frauen die besseren Führungskräfte oder werden unter dem Deckmantel “Female Leadership” nur neue Vorurteile geschaffen?

Die Covid-19-Pandemie stellte die Welt vor eine beispiellose Herausforderung. Doch während einige Länder mit den Auswirkungen der Krise kämpften, zeigte sich in einer Studie der Universität Liverpool ein interessantes Muster: weiblich geführte Staaten agierten oft besser und effizienter. Neuseeland, Deutschland, Bangladesch – sie alle hatten Frauen an der Regierungsspitze, setzten frühzeitig Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung um und verzeichneten im Schnitt halb so viele Covid-Todesfälle, wie männlich geführte Staaten. (2)

Aber was steckt hinter diesem Erfolg? Sind Frauen einfach die besseren Führungskräfte, oder schaffen wir unter “Female Leadership” neue Stereotype? In diesem Artikel stellen wir uns der Frage: Ist die Zukunft der Führung weiblich?

Ein Beitrag von Lisa Rätze

 

Was ist „Female Leadership“ und wozu brauchen wir es?

Female Leadership steht für mehr als eine Frau in einer Führungsposition. Und doch wird der Begriff in Artikeln und Beiträgen zum Thema „Weibliche Führung“ häufig falsch verwendet. Um das Konstrukt Female Leadership besser zu verstehen, werfen wir im ersten Schritt einen genaueren Blick auf den Begriff „Führung“:

Führung wird traditionell oft mit Merkmalen wie Dominanz und Selbstsicherheit in Verbindung gebracht, die üblicherweise Männern zugeschrieben werden. Dieses Phänomen, bekannt als das "think manager, think male"-Konzept, besteht seit etwa drei Jahrzehnten. Interessanterweise gibt es jedoch keine konkreten Beweise dafür, dass Männer tatsächlich besser für Führungspositionen geeignet sind. (1) Erstmals beschrieben wurde dieses Phänomen von Schein et al. (1996). Die typischen Eigenschaften von Führungskräften ähneln eher denjenigen, die mit Männern assoziiert werden: Problemlöse- und Analysefähigkeit, Durchsetzungsstärke, Selbstbewusstsein, das Ausblenden von Gefühlen im Arbeitskontext sowie eine gesteigerte Risikobereitschaft. Dieses kulturell verankerte Paradigma ist weit verbreitet. (6)

Die beschriebene Denkweise spiegelt sich auch in aktuellen Zahlen wider: In deutschen Führungsetagen waren im Jahr 2022 rund 29% Frauen beschäftigt. Dazu zählen Vorstände, Geschäftsführer:innen und Führungskräfte in Handel, Produktion und Dienstleistung. (5) Je höher die Hierarchiestufe, desto deutlicher wird die Ungleichverteilung von Macht: Im Jahr 2023 betrug der Frauenanteil in den Vorständen der 200 umsatzstärksten Unternehmen (ohne den Finanzsektor) nur rund 18%. (3) In den Zahlen zeigt sich ein glass ceiling-Effekt: Aufgrund der Verknüpfung von vornehmend stereotyp männlichen Eigenschaften mit dem Begriff Führung, fällt es Männern häufig leichter in Hierarchien aufzusteigen, während Frauen ab einer bestimmten Position an eine gläserne Decke stoßen, die schwer zu durchbrechen ist. (7)

Dem entgegen steht der Begriff „Female Leadership“ als Gegenmodell zu der Vorstellung, dass Macht allein Männern vorbehalten ist. Der Begriff soll sowohl darauf aufmerksam machen, dass es mehr Frauen in Führungspositionen geben muss, als auch auf die Tatsache, dass es genügend qualifizierte Frauen für eben jene Positionen gibt. Der Begriff steht für Diversität, denn für eine faire Wirtschaftswelt ist es unabdingbar, dass Menschen mit verschiedenen Perspektiven, Erfahrungen und Positionen gemeinsam Entscheidungsgewalt innehaben.

Außerdem beschäftigt sich Female Leadership mit der Frage, was einen weiblich geprägten Führungsstil ausmacht, ob und inwiefern Frauen anders führen als Männer.

Doch was passiert, wenn weibliche Führungskräfte sich nicht stereotyp weilblich verhalten? Ist es eine Form der Anpassung an eine männlich geprägte Führungswelt? Die daraus resultierende Frage lautete: Wie sinnvoll ist die binäre Unterscheidung zwischen männlicher und weiblicher Führung?

 

Binäre Stereotypen in der Führung

Geschlechterspezifische Stereotype sind auf Management-Ebene nicht unerhebliche, bewusste oder unbewusste, Einflussgrößen. Sie spielen immer dann eine Rolle, wenn Entscheidungen auf Grundlage menschlicher Einschätzungen getroffen werden müssen – zum Beispiel im Bewerbungsverfahren, bei der Beförderung oder bei der Beauftragung einzelner Personen mit neuen Projekten und Rollen.

Wie bereits erläutert, gibt es bestimmte Verhaltensweisen und Persönlichkeitsmerkmale, die mit Führung assoziiert werden. Dem entgegen wird nun das Bild von weiblicher Führung gesetzt, dass Eigenschaften wie Empathie, Fürsorge, Kooperation und Bedürfnisorientierung betont. Warum ist das problematisch?

Man stelle sich eine Frau vor, die ehrgeizig, selbstbewusst und risikobereit agiert. Ihre Mitarbeitenden würden sie eher als Einzelkämpferin beschreiben und sie wirkt emotional kühl. Diese Eigenschaften lassen sich unter dem Begriff „agentisch“ zusammenfassen. Studien zeigen, dass weibliche Führungskräfte, die agentische Eigenschaften aufweisen als weniger sympathisch wahrgenommen werden, sich mehr Vorurteilen ausgesetzt sehen und werden weniger gern eingestellt werden, als männliche Führungskräfte die agentische Eigenschaften aufweisen. Gleichzeitig schneiden auch Männern die geringere agentische und mehr kommunale Eigenschaften (Sympathie, Fürsorge, Kooperation) zeigen, schlechter in Untersuchungen ab, als männliche Führungskräfte, die vorrangig agentische Eigenschaften aufzeigen. (7)

Binäre Stereotype schränken somit nicht nur Frauen ein und erschweren ihnen den Zugang zu Machtpositionen, sondern auch Männer und diverse Personen, die den verbreiteten „Führungsqualitäten“ nicht entsprechen. Anstatt unter dem Banner Female Leadership weitere Stereotype zu erzeugen und neue Kategorien zu erschaffen, sollten wir uns auf die Awareness beim Thema Gleichstellung fokussieren und unsere eigenen Vorurteile bewusst aufarbeiten. (4)

 

Führung braucht kein Geschlecht – aber wie kommen wir dort hin?

Je größer die Geschlechterdiversität in Führungsetagen wird, desto stärker wird sich unser Bild von Führung wandeln. Bis es so weit ist, brauchen wir Konzepte wie Female Leadership, um auf ein Defizit aufmerksam zu machen und die Etablierung alternativer Werte voranzutreiben, ohne Führung ein neues Geschlecht zu geben.

Um faire Verfahren in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit zu implementieren, ist es wichtig, dass Entscheidungsträger:innen sich bewusst sind, dass ihre Bewertungsmethoden von männlichen und weiblichen Führungskräften von Geschlechterstereotypen beeinflusst sein könnten. Insbesondere könnten die männlich vertretenen sozialen Darstellungen, die weibliche Führungskräfte fast ausschließlich als "empathisch" betrachten, für die Karrieren von Frauen problematisch sein, da Männer (noch) häufig die Hauptentscheider für den beruflichen Aufstieg von Frauen sind. (7)

Individuelles Coaching kann ein wirksames Instrument sein, damit Entscheidungsträger:innen sich ihren Geschlechterstereotype in einem geschützten Raum bewusst werden können, um sie im Anschluss nachhaltig zu überwinden.

Um Geschlechterstereotype in Bezug auf Führung zu minimieren, ist es daher entscheidend, bewusst gegen Vorurteile anzugehen und faire Bewertungsprozesse zu fördern, die die individuellen Fähigkeiten und Leistungen unabhängig vom Geschlecht berücksichtigen. Durch die Förderung einer diversen und inklusiven Arbeitsumgebung können Organisationen sicherstellen, dass Frauen ebenso wie Männer gleiche Chancen und Anerkennung in Führungspositionen erhalten.

Die Zukunft der Führung ist somit nicht weiblich, aber sie ist auch definitiv nicht mehr männlich.

Wenn dir diese Konflikte bekannt vorkommen oder das Thema Geschlechterstereotype in deinem Unternehmen noch nie adressiert wurde, kannst du gerne ein kostenloses Beratungsgespräch vereinbaren und mehr darüber erfahren, inwiefern Coaching zur Auflösung vorhandener Denkmuster beitragen kann.

 
 

Quellen:

  1. Burel, S. (2020). (Fe)Male leadership? female leadership! In Quick Guide (S. 11–28). https://doi.org/10.1007/978-3-662-61303-0_2.

  2. Cordis, C. (2020, 27. August). WISSENSCHAFT IM TREND: Führende Frauen: Laut einer Studie haben von Frauen regierte Länder COVID-19 besser bewältigt. CORDIS | European Commission. https://cordis.europa.eu/article/id/422016-trending-science-leading-ladies-women-led-countries-coped-better-with-covid-19-study-says/de.

  3. DIW Berlin. (o. D.). DIW Berlin: Frauenanteil in Vorständen großer Unternehmen gestiegen, meist bleibt es aber bei höchstens einer Frau. DIW Berlin. https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-3-2.

  4. Female Leadership: Braucht Führung ein Geschlecht? | Neue Narrative. (o. D.-b). https://www.neuenarrative.de/magazin/female-leadership-braucht-fuehrung-ein-geschlecht

  5. Frauen in Führungspositionen in Europa 2022 - Statistisches Bundesamt. (o. D.). https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeitsmarkt/Frauenanteil_Fuehrungsetagen.html.

  6. Schein, V. E., Mueller, R., Lituchy, T. R. & Jiang, L. (1996). Think manager—think male: a global phenomenon? Journal Of Organizational Behavior, 17(1), 33–41. https://doi.org/10.1002/(sici)1099-1379(199601)17:1.

  7. Tremmel, M. & Wahl, I. (2023). Gender stereotypes in leadership: Analyzing the content and evaluation of stereotypes about typical, male, and female leaders. Frontiers in Psychology, 14. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2023.1034258.

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Case Study: Gini

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Chiara als Business Development Managerin