Fehler sind menschlich - aber werden sie auch so wahrgenommen?

Obwohl die Relevanz einer positiven Fehlerkultur unbestritten ist, hält sich die Angst vorm Scheitern und das Verschleiern von Fehlern hartnäckig in vielen Unternehmen.

Eine aktuelle Studie von EY stellt ein bemerkenswertes Paradoxon fest: Über die Hälfte der Führungskräfte betrachten eine positive Fehlerkultur als unerlässlich für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens. Doch trotz dieser Erkenntnis geben etwa zwei Drittel der Führungskräfte zu, ihre eigenen Fehler nicht offen zu kommunizieren (6). Dies wirft die Frage auf: Warum ist eine positive Fehlerkultur so wichtig, wie sieht sie aus und welche Rolle spielen Führungskräfte dabei?

Dieser Artikel beleuchtet das Feld der Fehlerkultur und zeigt auf, warum es ein Fokusthema vieler Unternehmensstrategien ist und trotz hoher Relevanz, häufig noch in der Umsetzung hapert. Darüber hinaus werden wir die Rolle der Führungskräfte bei der Gestaltung einer solchen Kultur analysieren und welche Schritte sie unternehmen können, um ein Umfeld zu schaffen, in dem Fehler als Lernchance betrachtet werden.

Ein Beitrag von Lisa Rätze

 

Vom Fehler zur Fehlerkultur

Ganz oberflächlich betrachtete bedeutet einen Fehler zu machen, eine negative Abweichung vom erwarteten oder gewünschten Ergebnis zu verzeichnen. Besonders häufig passieren Fehler dort, wo Menschen arbeiten: Sei es in der Produktion oder im Management. Gerade in Leistungsgesellschaften sind Werte wie hohe Leistungsbereitschaft, Disziplin und gute Ergebnisse oft nicht vereinbar mit dem Scheitern. Einen Fehler zu machen, erfüllt die meisten Menschen mit Scham und auch die Angst vor potenziellen Fehlern, ist ein weit verbreitetes und tief verankertes Gefühl (5).

Wie im Unternehmenskontext mit Fehlern umgegangen wird, determiniert die vorherrschende Fehlerkultur. Dabei spielen verschiedene Aspekte eine Rolle:

  • Wie fällt die Reaktion auf Fehler aus? Werden Schuldzuweisungen gemacht und Bestrafungen verhangen oder werden Fehler als Chance zum Lernen interpretiert und durch konstruktives Feedback aufgearbeitet?

  • Werden Fehler kommuniziert und wenn ja, wie? Können Fehler im Team oder auch teamübergreifend offen angesprochen und diskutiert werden? Oder gibt es ein Klima der Geheimhaltung?

  • Wie Risikobereit ist das Unternehmen? Werden Mitarbeitende ermutigt, Risiken einzugehen und neue Ideen auszuprobieren ohne Angst vor möglichen Fehlern zu haben?

  • Gibt es eine lernorientierte Haltung? Werden Fehler als Chance zu Verbesserung wahrgenommen?

  • Wie verhalten sich die Führungskräfte, wenn jemand aus ihrem Team einen Fehler zugibt? Schaffen sie eine Atmosphäre des Vertrauens und geben konstruktives Feedback oder sanktionieren sie Fehler?

  • Welche Werte und Ziele vertritt das Unternehmen in seiner Gesamtstrategie? Betrachtet es Fehler als natürlichen Bestandteil des Fortschritts?

Es zeigt sich, wie vielschichtig die Fehlerkultur eines Unternehmens ist und an wie vielen Stellschrauben gedreht werden muss, um eine positive Fehlerkultur nachhaltig etablieren zu können. Davor sollte natürlich feststehen, wie eine positive Fehlerkultur jetzt explizit im Unternehmen aussehen soll und da gehen Idealbild und Realität häufig auseinander (1).

 

Heißt positive Fehlerkultur wir sollten möglichst viele Fehler machen?

Eine positive Fehlerkultur ist ein Nährboden für Innovation. Mit dieser Herangehensweise hat sich ausgehend vom Silicon Valley ein regelrechter Trend verbreitet: Fehler gehören zelebriert und beworben, denn wir müssen schnell und viel scheitern, um erfolgreich und innovativ zu sein. Mark Zuckerberg erklärte Harvard Absolvent:innen 2017, dass der "Freedom to Fail" eine Kernvoraussetzung für unternehmerischen Erfolg sei (4). Dieser Trend vernachlässigt jedoch die Vielschichtigkeit des Scheiterns: Mitarbeitende können zum Beispiel ein wichtiges Projekt in den Sand setzen, weil sie unsauber gearbeitet haben. Das erfüllt sie mit Scham und führt oft zu negativen Folgen für das gesamte Team. Um eine wirklich positive Fehlerkultur zu etablieren, ist es daher entscheidend, nicht nur das Scheitern selbst zu zelebrieren, sondern viel mehr die Lernprozesse, die daraus resultieren. Organisationen sollten vorrangig eine Umgebung schaffen, in der Fehler als wertvolle Lernchancen angesehen werden.

Es geht nicht darum, Fehler um der Fehler willen zu machen, sondern darum, aus jedem Fehlschlag konstruktive Schlüsse zu ziehen. Dies kann beispielsweise durch regelmäßige Retrospektiven, in denen Teams zusammenkommen, um gescheiterte Projekte zu analysieren und Verbesserungspotenziale zu identifizieren, gefördert werden. Solche Praktiken helfen, die Angst vor Fehlern zu minimieren und die intrinsische Motivation der Mitarbeitenden zu steigern. Indem man die positiven Aspekte jedes Fehlers betont – was gelernt wurde und wie es das Team voranbringt –, kann das gesamte Unternehmen resilienter und agiler werden (3).

Dabei ist es wichtig, dass die Führungsebene selbst eine Vorbildfunktion einnimmt und offen über eigene Fehler spricht. Dies schafft ein Klima des Vertrauens, in dem sich Mitarbeitende sicher fühlen, Risiken einzugehen und innovativ zu sein, ohne Angst vor negativen Konsequenzen. Eine solche Kultur fördert nicht nur die persönliche Entwicklung jedes Einzelnen, sondern stärkt auch die Wettbewerbsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit des Unternehmens in einer sich schnell wandelnden Welt.

 

Und wieder geht es um Vorbilder

Das alarmierendste an der eingangs erwähnten EY-Studie ist, dass sie sich auf das Verhalten von Führungskräften bezieht. Die Ergebnisse sind in der Finanzbranche am eindrücklichsten, wo 82% der Führungskräfte ihre Fehler teilweise oder vollständig unter den Teppich kehren (6).

Eine positive Fehlerkultur wird maßgeblich durch das Verhalten der Führungskräfte mitbestimmt. Ihre Rolle als Vorbilder ist entscheidend, da Mitarbeitende oft das Verhalten an der Spitze nachahmen. Führungskräfte, die ihre Fehler offen anerkennen und konstruktiv darauf reagieren, fördern eine Atmosphäre, in der Lernen und Innovation gedeihen können. Doch wie kann dieses Ideal in die Praxis umgesetzt werden? Hier kommt Coaching ins Spiel, als individuelle Unterstützungsmaßnahme.

Business Coaching bietet Führungskräften einen geschützten Rahmen, in dem sie ihre Einstellungen und Verhaltensweisen reflektieren können, ohne das Risiko negativer Auswirkungen auf ihren Status oder ihre Karriere. Ein erfahrener Coach arbeitet mit Führungskräften daran, eine ehrliche Selbsteinschätzung zu entwickeln und zeigt auf, wie ihr Verhalten die Fehlerkultur ihres Teams beeinflusst. Durch gezieltes Feedback und die Entwicklung von emotionaler Intelligenz können Führungskräfte lernen, eigene und fremde Fehler als eine wichtige Ressource für persönliches und unternehmerisches Wachstum zu sehen.

Des Weiteren sollten Führungskräfte praktische Strategien entwickeln, um eine offene und unterstützende Fehlerkultur fördern zu können. Dazu gehört das Ermutigen von Mitarbeitenden, eigene Fehler zu berichten und zu diskutieren, ohne Angst vor Repressalien. Das Vorleben von Transparenz und die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen, schaffen ein starkes Fundament für eine Kultur, die nicht nur Fehler toleriert, sondern sie als wesentlichen Bestandteil des Erfolgs begreift (2).

Eine Kultur des Lernens: Raum schaffen für Fehler und Innovation

Abschließend lässt sich sagen, dass eine positive Fehlerkultur mehr als nur eine wohlwollende Einstellung erfordert – sie muss aktiv geformt und gelebt werden. Unsere Diskussion hat hervorgehoben, Fehler insbesondere als Chance zu begreifen, sie offen zu diskutieren und aus jedem Fehltritt zu lernen. Dafür müssen Fehler nicht öffentlich zelebriert werden, vielmehr sollte der Fokus auf gemeinsamen Learnings liegen.

Wenn du jetzt das Gefühl hast, dass es an der Zeit ist, die Fehlerkultur in deinem Unternehmen zu überdenken, oder du Unterstützung bei der Implementierung einer offeneren Fehlerkultur benötigst, zögere nicht, uns zu kontaktieren. Wir freuen uns darauf, dich und dein Unternehmen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Innovationskultur zu begleiten.

 
 

Quellen:

  1. Brückner, C. (2021). Qualitätsmanagement und Fehlerkultur: Mit Fehlern gewinnbringend umgehen. Carl Hanser. https://doi.org/10.3139/9783446469020

  2. Diehl, A. (2021, January 19). Fehlerkultur – Warum Du Fehler nicht feiern musst. Digitale Neuordnung. https://digitaleneuordnung.de/blog/fehlerkultur/

  3. Erler, L. (n.d.). Fehler machen und weich fallen. Neue Narrative. Retrieved April 12, 2024, from https://www.neuenarrative.de/magazin/fehler-machen-und-scheit

  4. Snibbe, K. (2017). Mark Zuckerberg's Commencement address at Harvard. In: The Harvard Gazette. https://news.harvard.edu/gazette/story/2017/05/mark-zuckerbergs-speech-as-written-for-harvards-class-of-2017/

  5. Schramm, S. & Wüstenhagen, C. (2013). Die Kunst des Scheiterns. In: Zeit Online. https://www.zeit.de/zeit-wissen/2013/04/kunst-scheitern-fehler-machen/komplettansicht.

  6. Taapken, N., Seckler, C., & Fischer, S. (2023). Fehlerkultur Report 2023: So steht es um die Fehlerkultur in deutschen Unternehmen. EY GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.

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Case Study: Gini